TANZ UM DIE MITTE

Anna Ballestrem


In Dörte Krafts Bildern gibt es meist keinen Anfang und kein Ende. Es ereignet sich ein ständiges Rotieren um einen Mittelpunkt, ein – mal mehr, mal weniger abrupt – unter brochenes Kreisen. Immer wieder formen die Linien Schnecken, Wirbel und Strudel. Auf überdimensionalen Leinwänden entfalten sich kaleidoskopartig die gewaltigen, komplexen Universen der Künstlerin. Es sind eigene Welten. Die meisten Bilder Krafts haben zwar enorme Ausmaße, doch scheint der Malerin die zweidimensionale Leinwand nicht auszureichen. Selbstbewusst und kraftvoll trägt sie dick und pastos die Farbe reliefartig auf die Leinwand auf. In den jüngeren Bildern reichert sie diese zudem mit Sand und leicht irisierendem Glasgranulat an, um eine räumliche Dimension des Malerischen zu bewirken und in den Raum vorzudringen.

Die Werke der 1966 in Berlin geborenen Künstlerin lassen sich aufteilen in geometrisch gegenständliche Bilder und gestische, abstrakte Malerei. Ihre gegenstandslosen gestischen Bilder, die in der Tradition des Informel stehen, wirken sehr gelöst und großzügig. Sie sind in ihrer Farbigkeit dunkler und bestechen durch eine abgründige, rauschhafte Energie.

Beinahe könnte man die Werke in dionysische und apollinische aufteilen. Denn so frei und stürmisch die einen sind, so strukturiert und klar – auch in ihrer Farbigkeit – wirken die anderen. Manchmal gibt Dörte Kraft vorab eine große ordnende Form vor: einen Vogel, einen Stern oder ein Kreissystem. Aus dieser Form heraus „wächst“ es dann gewissermaßen assoziativ weiter. Die Künstlerin teilt hierbei sehr systematisch mithilfe von Zirkeln und Schablonen die Bilder in unzählige Felder auf, die dann bespielt und wieder neu gegliedert werden. Aus diesen schillernden Gewässern abstrakter Felder von Spiralen, Kreisen, Wellen und Linien tauchen jäh perspektivischgegenständliche Figuren auf.

Es sind meist vertraute Formen und Symbole: Mandalas, Tauben, astrologische Zeichen oder Äskulapstäbe. Und immer wieder die einzelne kraftvolle menschliche Figur, die etwas zu bewältigen hat – archaisch, kahlköpfig und gesichtslos. Deren Haltung angestrengt ist, angespannt oder in Bewegung.

All dies erscheint meist im optischen Flimmern bunt leuchtender Strahlen. Immer wieder und in allen Farbvariationen und Stärkegraden tauchen diese feinen Strahlen geradezu leitmotivisch auf und bringen Licht in die Bilder. Einerseits scheint Kraft hier Wellen und Kraftfelder, also dem bloßen Auge verborgene Ebenen, sichtbar machen zu wollen, andererseits sind das formale Referenzen an die abstrakten Farb-Licht Beziehungen und die Ornamentik der Op Art.

Die Bilder rechnen mit einem sich bewegenden Betrachter, dem sich das Ineinandergleiten der Farbnuancen und ihr Wechselspiel im Vorübergehen erschließt – wie die doppelbrechenden Kristalle in den Spiegeln des Kaleidoskops. Diese virtuelle Bewegung impliziert ein für Kraft wesentliches Phänomen: die Zeit.

Dörte Krafts Bilder thematisieren die Zeit. Den Bildern ist ein bestimmter Zeitablauf implizit durch den langwierigen – weil so detaillierten und feinen – nachvollziehbaren Malprozess und die unendlichen Schichten und Ebenen. Sie lässt sich beinahe körperlich erleben im Entdecken immer wieder neuer Gegenstände und Perspektiven.

Aber auch in der Motivik findet sich das Thema wieder, insbesondere in der wiederholt auftauchenden Schneckenform. Die Schnecke versinnbildlicht nicht nur die Sensibiltät, sondern auch die Langsamkeit, die Bedächtigkeit. Auf manchen Bildern ist die Schnecke vielmehr eine Spirale, gemeinhin ein Zeichen der Vergänglichkeit alles Irdischen und der Wiederkehr in neuer Gestalt, in den Jahreszeiten etwa.

Die Spirale ist das Hineingehen und das wieder Hinausgehen als Zeichen des Todes und der Auferstehung. Wie die Jahreszeiten oder Stimmungen und Gefühle ist die Spirale immer in Bewegung. Und ebenso wie die Zeit – und untrennbar von dieser – ist die Entwicklung beziehungsweise der Wandel Gegenstand von Krafts Malerei. In Form von Muscheln, Larven oder der sich durch ihre Häutung immer wieder erneuernden Schlange thematisiert sie diese Phänomene.

Auf Bild „X 1695“ rahmen gar die einzeln dargestellten Mondphasen ein geometrisch abstraktes Pfeilmuster, das über einer menschlichen, aus weicher Erde bestehenden Gestalt liegt, die zielgerichtet aus hellen bunten Farbprismen hinaus ins ungewisse Dunkel schwimmt.